Hannes Gröller
Studium: Master of Science in Space Sciences und Doktorat der Physik an der Universität Graz
Was genau ist 3I/ATLAS?
3I/ATLAS ist ein interstellarer Komet und das dritte bekannte Objekt seiner Art – die „3" und das „I" für „interstellar" in seinem Namen, gefolgt von „ATLAS", dem Namen des Entdeckungsprogramms.
Die Besonderheit ist, dass ein interstellarer Komet von außerhalb unseres Sonnensystems stammt und sich auf einem hyperbolischen Pfad bewegt. Das bedeutet, seine Geschwindigkeit ist so hoch, dass er nicht an die Gravitation unserer Sonne gebunden werden kann und das System wieder verlässt – er ist also nur auf der Durchreise.
Wohin fliegt er?
Nachdem 3I/ATLAS am 29. Oktober 2025 seinen sonnennächsten Punkt (Perihel) erreicht hatte, befindet er sich nun auf dem Weg zurück in den interstellaren Raum – eine Reise ohne Wiederkehr.
Könnte er mehr als nur ein Komet sein?
Nein, 3I/ATLAS sieht aus wie ein Komet und er verhält sich wie ein Komet. Er zeigt kometentypische Eigenschaften, aber aktuelle Beobachtungen haben uns außergewöhnliche chemische Signaturen geliefert, die unsere bisherigen Modelle infrage stellen. Dazu zählen das Auftreten von Nickeltetracarbonyl und ein unerwarteter Eisenmangel. Zudem leuchtet der Komet sehr hellgrün, obwohl die dafür typischen C₂-Moleküle nur in geringen Mengen vorhanden sind. Diese Kombination aus ungewöhnlicher Zusammensetzung und optischen Eigenschaften veranlasst Forscher, ihre Theorien zu interstellaren Objekten und chemischen Prozessen in Kometen neu zu bewerten. Aber selbst in unserem eigenen Sonnensystem sind keine zwei Kometen gleich.
Die medial aufgegriffenen Spekulationen über ein mögliches Raumschiff sind zwar populär, aber in der Wissenschaft bedeutet "außergewöhnlich" in diesem Kontext primär, dass wir etwas Neues über die Komplexität und Chemie von Kometen lernen, nicht zwingend, dass es sich um ein künstliches Objekt handelt.
Was macht die Arbeit an der Catalina Sky Survey besonders?
Das wirklich Außergewöhnliche an meiner Tätigkeit bei der Catalina Sky Survey ist das Gefühl, Abend für Abend einen konkreten Beitrag zur planetaren Sicherheit zu leisten. Ich bin stolz darauf, als Beobachter Teil eines der weltweit bedeutendsten Programme zur Entdeckung erdnaher Asteroiden zu sein. Diese Arbeit vereint die Leidenschaft für die Astronomie mit einem direkten, verantwortungsvollen Auftrag für unseren Planeten.
Welche Technologien verwendest du?
Ein Großteil unserer Teleskope und Observatorien stammt aus den 1970er-Jahren. Auch wenn die Grundstruktur der Teleskope historisch ist, wurden die Kameras und Computersysteme konsequent auf dem neuesten Stand gehalten. Es ist eine Kombination aus robuster, bewährter Mechanik und modernster digitaler Bildgebung und Software.
Wie sieht dein typischer Arbeitstag aus?
Ein typischer Arbeitstag – oder besser gesagt, eine typische Arbeitsnacht – beginnt mit dem Sonnenuntergang und endet mit dem Sonnenaufgang. Im Sommer sind das angenehme Schichten von etwa neun Stunden, in den langen Winternächten können es jedoch bis zu 14 Stunden Beobachtungszeit sein, was bei mehreren Nächten in Folge sehr fordernd ist.
Kurz vor Sonnenuntergang wird die Kuppel geöffnet, um Teleskop und Spiegel an die Außentemperatur anzugleichen. Die eigentliche Beobachtung startet etwa eine Stunde später. In dieser Zeit bereite ich die Systeme vor und plane die Suchstrategie am Himmel.
Unsere in-house entwickelte Software identifiziert bereits bekannte Objekte. Meine Kernaufgabe ist die Evaluierung der unbekannten Objekte, um echte Himmelskörper von Artefakten zu unterscheiden. Echte, neue Entdeckungen werden in Echtzeit an das MPC (Minor Planet Center) übermittelt, welche die finale Überprüfung vornehmen. Ein bestätigtes neues Objekt wird dann innerhalb von 15 Minuten auf der öffentlich zugänglichen NEOCP (Near-Earth Object Confirmation Page) gelistet. Je nach Teleskop erhalte ich im 15- bis 30-Minuten-Takt neue Daten, die ich nach unbekannten Asteroiden durchsuche. In einer langen, klaren Winternacht kann es durchaus vorkommen, dass man bis zu 6.000 Objekte beurteilen muss.
Ungefähr 45 Minuten vor Sonnenaufgang beenden wir die Beobachtungsnacht. Die Kuppel wird wieder geschlossen, die während der Nacht gesammelten Daten werden archiviert, und die Reports werden geschrieben und versendet. Mein Arbeitstag endet dann mit dem Sonnenaufgang, momentan gehe ich gegen 7 Uhr morgens schlafen. Wenn ich dann zwischen 14 und 15 Uhr aufwache, habe ich gerade mal zwei bis drei Stunden Zeit, um Sonne zu tanken und eine kurze Wanderung zu machen, bevor um 17 Uhr die nächste Beobachtungsnacht beginnt.
Was ist zu nahe?
Wir fokussieren uns auf die sogenannten PHAs (Potentially Hazardous Asteroids) oder, in der erweiterten Definition, PHOs (Potentially Hazardous Objects), welche auch Kometen einschließen. Die Kriterien zur Einstufung als PHA sind streng definiert:
Die MOID (Minimum Orbit Intersection Distance) mit der Erdbahn muss kleiner als 0,05 AE (Astronomische Einheit) sein. Eine Astronomische Einheit entspricht der Distanz zwischen Sonne und Erde, etwa 150 Millionen Kilometer.
Die absolute Helligkeit des Objekts muss 22 mag oder heller sein.
Das bedeutet konkret, dass ein Asteroid mindestens 140 Meter im Durchmesser aufweisen muss und die Erdumlaufbahn innerhalb von 7,48 Millionen Kilometern kreuzen muss, um als potenziell gefährlich eingestuft zu werden.
Und was passiert, wenn es zum Ernstfall kommt?
Sollte tatsächlich ein Ernstfall eintreten, wird zunächst die Beobachtung intensiviert. Observatorien weltweit sammeln zusätzliche Daten, um die Bahn des Objekts präziser zu berechnen. Sollte das Risiko weiterhin bestehen, übernehmen Organisationen wie das Planetary Defense Coordination Office der NASA und das Near-Earth Object Coordination Centre der ESA die strategische und globale Koordination.
In diesem Stadium geht es nicht mehr nur um Beobachtung, sondern auch um strategische Vorbereitung. Für die Abwehr stehen verschiedene Technologien zur Verfügung. Am weitesten fortgeschritten ist der kinetische Impaktor, bei dem ein Raumfahrzeug gezielt auf den Asteroiden trifft, um seine Bahn minimal, aber entscheidend zu verändern. Dieser Ansatz wurde 2022 mit der NASA-Mission DART erfolgreich demonstriert. Langfristig wären auch Methoden wie der Gravitations-Traktor oder thermische Ablenkungstechniken denkbar. Ein nuklearer Einsatz bliebe dabei stets die absolute Ultima Ratio.
Entscheidend ist der Zeitfaktor: Je früher wir einen gefährlichen Asteroiden entdecken, desto einfacher und risikoärmer ist seine Ablenkung. Bei einer sehr kurzen Vorwarnzeit bliebe unter Umständen nur die Vorbereitung auf den Einschlag, inklusive Evakuierungs- und Schutzmaßnahmen.
Wie würdest du die Arbeitskultur in Arizona beschreiben?
Die Arbeitskultur, besonders in der Astronomie, ist von Kollegialität und einer direkten, unkomplizierten Hilfsbereitschaft geprägt. Der Rhythmus ist stark durch die intensive Hitze und die Dominanz der Nachtschichten bestimmt. Wir sind hier oft aus tiefster Leidenschaft für das Fach tätig, was die Zusammenarbeit äußerst motivierend und von gegenseitigem Respekt gekennzeichnet macht. Insgesamt ist die Atmosphäre hoch professionell, aber gleichzeitig sehr angenehm und persönlich.
Welche Tipps würdest du anderen Alumni geben, die vorhaben nach Arizona zu ziehen?
Ich würde jedem Neuzugang raten, sich intensiv auf das spezielle Klima und die Lebensbedingungen in der Wüste einzustellen. Die Sommerhitze – oft um die 45°C – ist intensiver, als man es sich vorab vorstellen kann. Zudem sollte man sich bewusst sein, dass man Klapperschlangen, Schwarze Witwen, Skorpione und vieles mehr fast überall antreffen kann.
Gleichzeitig sind die Menschen hier äußerst offen und freundlich, man findet schnell Anschluss, wenn man sich auf die lokale Community einlässt. In Bezug auf Mobilität ist ein Auto in weiten Teilen Arizonas nahezu unverzichtbar.
Und nicht zuletzt: Die Natur ist atemberaubend. Wer die Wanderwege, den klaren Sternenhimmel und die einzigartigen Wüstenlandschaften nutzt, wird schnell verstehen, warum so viele Menschen hier ihren Lebensmittelpunkt gefunden haben.
Weitere Informationen zum Chapter Arizona finden sich hier.
Mehr über Hannes Gröller im Alumni Portrait.