Im Gespräch mit ...
Johannes Eigner
Alumni im Porträt Juni 2020
Botschafter in Ausnahmezeiten
1985 trat Johannes Eigner in den diplomatischen Dienst des österreichischen Außenministeriums ein. Seit 2017 ist der gebürtige Kärntner Österreichischer Botschafter in der Russischen Föderation. Im aktuellen Alumni-Portrait spricht der Jurist über seinen Weg vom Studium an der Rechtswissenschaftlichen Fakultät in die Diplomatie und über den Alltag in Moskau in Zeiten von Corona.
Botschafter Eigner, Sie haben an der Universität Graz Rechtswissenschaften studiert. Wie hat Sie das Studium auf Ihre diplomatische Laufbahn vorbereitet?
Ursprünglich wollte ich am Dolmetsch-Institut Französisch und Russisch studieren. Davon hat man mir aber bereits in der Schule aufgrund der beruflichen Aussichten sehr freundlich aber bestimmt abgeraten. Daher habe ich dann eher gelegenheitshalber zusätzlich zum Dolmetschstudium Jus inskribiert, dieses Studium auch abgeschlossen und das Sprachstudium nur ein wenig nebenher betrieben.Während des Studiums habe ich allerdings erkannt, dass mich die juristischen Kernfächer nicht unbedingt begeistern und habe mich somit eher für Völkerrecht und Verfassungsrecht interessiert. Nach dem Studienabschluss in Graz erhielt ich ein Stipendium für die Universität Strassburg. Dort habe ich Völkerrecht studiert und so die Richtung zu internationalen Berufen und zur Diplomatie eingeschlagen. Aufs Geratewohl habe ich dann die Aufnahmeprüfung im Außenministerium gemacht, die man benötigt, um in den diplomatischen Dienst aufgenommen zu werden. Das war 1985 und seitdem bin ich im Außenministerium tätig.
Zwischen 1987 und 1995 waren Sie als Presseattaché bzw. ab 1992 als stellvertretender Missionschef an der Österreichischen Botschaft in Moskau tätig. Wie haben Sie das Land damals im Vergleich zu heute erlebt?
Völlig anders. Wer Russland oder damals die Sowjetunion, Moskau, in den 80er Jahren nicht selbst erlebt hat und mit eigenen Augen gesehen hat, wie die Stadt damals aussah, kann sich das nicht vorstellen. Heute ist Moskau eine mondäne Metropole mit allen Annehmlichkeiten, mit Luxus und Flair. Ich habe zu einer Zeit dort zu arbeiten begonnen, wo es bereits – Stichwort Perestroika und Glasnost – eine langsame Öffnung gab, wo man auch privat erste Kontakte knüpfen konnte, weil die Russen selber keine Angst hatten, sich mit westlichen Diplomaten zu treffen, wo die ärgsten Versteinerungen des Sowjet-Regimes schon im Aufbrechen waren, und trotzdem ist das im Vergleich zu heute ein gigantischer Unterschied. Man musste zum Beispiel im Außenministerium Bescheid geben, wenn man die Stadt verlassen wollte. Also man konnte zum Beispiel nach St. Petersburg oder nach Sotschi reisen, aber es musste jedes Mal dem Außenministerium gemeldet werden.
Spielten die Erfahrungen von damals eine Rolle bei der Entscheidung, wieder nach Moskau zu gehen?
Ja. Es hat sich 2017 früher als geplant eine Vakanz ergeben, außerhalb des üblichen Rotationsschemas, das es bei uns gibt. Da kam man mit der Frage auf mich zu, ob mich die Position in Moskau interessieren würde. Ich war damals noch als Österreichischer Botschafter in der Republik Serbien in Belgrad tätig. Ich habe dann ohne lange nachzudenken angesichts meiner langen und interessanten Zeit dort in den 80ern ja gesagt.
Seit Dezember 2017 sind Sie nun als Österreichischer Botschafter in der Russischen Föderation in Moskau tätig. Wie erleben Sie aktuell den Alltag in Moskau?
Ich erlebe ein völlig unbekanntes Moskau. Die Straßen waren noch nie so leer, nicht einmal damals in den 1980ern als sehr wenige Autos unterwegs waren. Jetzt ist die Stadt fast menschenleer, ein eigenartiger Anblick.
Ab wann hat man die Auswirkungen der Corona-Krise gespürt?
Im Vergleich zu Österreich haben hier die Zahlen etwas später begonnen, in die Höhe zu schnellen. Entsprechend später hat man auch mit den Quarantäne-Maßnahmen begonnen. Im Vergleich zu Österreich werden die Einschränkungen auch sicher noch länger andauern.
Wie sehen die Einschränkungen konkret aus?
Wir Diplomaten sind hiervon ein wenig ausgenommen, aber wer zum Beispiel ein Auto hat, muss sich bei einer zentralen Stelle in Moskau registrieren und erhält dann über eine App die Genehmigung, mit diesem Fahrzeug zur Arbeit zu fahren oder an eine bestimmte Destination, die als zulässig definiert ist, um mit einem Auto angefahren werden zu können. Ansonsten ist das Verlassen des Hauses nur zum Einkaufen, mit dem Hund Gassi zu gehen oder den Arzt zu besuchen erlaubt. Nicht erlaubt zum Beispiel ist es, mit Kindern spazieren zu gehen. Das ist natürlich eine sehr drastische Entscheidung, wenn man jetzt zum Beispiel an eine Familie mit zwei bis drei Kindern denkt, die in einem Hochhaus in einer beengten Wohnung lebt.
Wie haben die Einschränkungen Ihren Alltag verändert?
Kollegen haben zu mir gesagt – nur halb im Scherz –, dass eigentlich alles das, was unsere eigentliche Arbeit ausmacht, jetzt wegfällt. Kontakt zu halten mit den unterschiedlichsten Personen, in Ministerien, mit Journalisten, mit anderen Kollegen, dieser Informationsaustausch in persönlichen Gesprächen ist momentan einfach nicht möglich.
Wie sah die Situation zu Beginn der Krise in puncto Rückreisen von ÖsterreicherInnen aus?
Am Anfang als klar wurde, dass die Grenzen geschlossen würden, dass die Reisemöglichkeiten eingeschränkt bzw. fast ganz wegfallen würden, hatten wir natürlich viele ÖsterreicherInnen, die sich hier aufgehalten haben – TouristInnen, Studierende –, die wieder zurück wollten. Es gab noch einige kommerzielle Flüge und das Außenministerium hat wie in vielen anderen Fällen weltweit auch aus Moskau einen Repatriierungsflug organisiert. Das waren hier an die 100 Personen, nicht nur ÖsterreicherInnen, sondern auch Personen aus anderen Staaten wie Tschechien oder Kroatien, die bei diesem Sonderflug dabei waren.
Wie nehmen Sie die Lage in Österreich aus der Ferne wahr?
Gott sei Dank schon wieder auf dem aufsteigenden Ast. Die große Frage, die nun natürlich alle beschäftigt, ist, wie die weitere Normalisierung nachhaltig gelingen kann. Das Problem ist ja, dass es für diese Situation keine Erfahrungswerte gibt. Hier werden wir viel mit Bauchgefühl machen müssen.
Was fehlt Ihnen persönlich am meisten in der aktuellen Lage?
Im Leben vor Ort sind das Sportmöglichkeiten. Ich gehe gern Tennis spielen. Das ist momentan natürlich nicht möglich. Die größte Einschränkung ist aber die Nähe zur Familie. Es gibt aktuell keine Flugverbindungen und ich könnte derzeit nur mit größtem Aufwand nach Österreich kommen. Meine Familie ist in Wien, meine Frau lebt und arbeitet dort und wir wissen aktuell nicht, wann es die nächste Möglichkeit gibt, dass ich nach Wien oder sie nach Moskau kommen kann.
Welche Lehren ziehen Sie persönlich aus der Corona-Krise?
Ich denke, die Lehre, die die allermeisten von uns ziehen, ist, dass es für nichts eine Garantie gibt. Wir müssen jetzt auf so vieles verzichten, was für uns einfach selbstverständlich war. Dazu kommt die gesellschaftspolitische Erfahrung, zu erkennen, was zählt, was wirklich wesentlich ist für ein Funktionieren der Gesellschaft. Man merkt sehr stark, dass hier neue Gewichtungen vorgenommen werden. Ob diese Erkenntnisse von Dauer sein werden, ist natürlich eine andere große Frage.
Also wieder zurück in die alte Normalität?
Ganz eins zu eins vermutlich nicht. Es wäre auch traurig, wenn diese Situation gar keine Spuren hinterließe, aber wahrscheinlich auch nicht so sehr, wie sich das viele nun erhoffen. Der Mensch ist doch insgesamt ein sehr starkes Gewohnheitstier, das dann auch relativ schnell wieder in alte Muster zurückfällt.